Unterricht auf den Kopf gestellt

The flipped Classroom

Die Methodik des „flipped classrooms“ ist eigentlich ziemlich selbsterklärend. Das Wort „to flip“ bedeutet „umdrehen“ auf Deutsch. Der Unterricht wird also einmal auf den Kopf gestellt.

Im regulären Unterricht, wie ihn die meisten kennen, lernen die Schüler*innen den Stoff im Klassenzimmer. Die Lehrkraft erklärt die Themen im Frontalunterricht. Anschließend bleibt oft nur wenig Zeit, um das neu Gelernte zu üben, also wird dieser Teil nach Hause verlegt. In Form von Hausaufgaben soll das neue Wissen angewendet werden.

Wenn die Lernenden nun Schwierigkeiten bei der Anwendung haben, können sie diese nicht machen oder gewöhnen sich direkt vieles falsch an, wenn sie Fehler machen.

Ein weiteres Problem, das diese traditionelle Methode mit sich bringt, ist, dass Fehlstunden nur sehr kompliziert aufgeholt werden können. Dieses Problem hatten zwei Lehrer in den USA. Wenn jede Stunde ein anderes Kind krank war, waren sie so sehr damit beschäftigt, den Lernenden den verpassten Stoff beizubringen, dass sie sehr viel wertvolle Zeit verloren, die sie eigentlich zur Vermittlung des neuen Stoffs brauchten. Um diesem Zeitverlust entgegenzusteuern, investierten Jonathan Bergmann und Aaron Sams etwas Geld in technische Geräte und nahmen den Unterricht auf. Nun konnten diejenigen, die die Stunde verpasst hatten, den Unterricht selbstständig zu Hause nachholen. Zum Erstaunen der beiden Lehrer profitierten aber nicht nur die Kinder die im Unterricht gefehlt hatten, an den Videos, sondern auch die Schüler*innen die an der Stunde teilgenommen hatten.

Durch die Videos hatten die Lernenden die Möglichkeit, sich alles nochmal im eigenen Tempo anzuschauen und zu wiederholen, bis sie es wirklich verstanden hatten. Hier entstand die Idee, dass die Schüler*innen sich den Stoff von da an zu Hause mithilfe von Lernvideos aneigneten und im Anschluss die Unterrichtsstunde dafür nutzten, das Gelernte anzuwenden. Die Lehrkräfte konnten ihre Schützlinge individueller fördern und hatten mehr Zeit für Kinder, denen die Themen schwieriger fielen, während Schüler*innen, denen der Stoff einfacher fiel, sich bereits kniffligeren Aufgaben widmen konnten.

In einer 2021 veröffentlichten Studie von Polat und Karabatak hatten die Kinder, die den Unterrichtsstoff mithilfe der flipped classroom Methode lernten, signifikant höhere akademische Ergebnisse als die Schüler*innen die nach dem klassischen Schulmodell oder im reinen Onlineunterricht unterrichtet wurden.

Und nicht nur das. Die Schüler*innen waren auch zufriedener mit ihren Leistungen und hatten ein höheres Zugehörigkeitsgefühl zur Klasse. D.h. sie haben sich akzeptierter gefühlt und es gab weniger Aussagen, die darauf hinwiesen, dass sich ein Kind sich ausgeschlossen gefühlt hat. Mehr Kinder gaben an, dass es jemanden in der Klasse gibt, der sich für sie interessiert.

Es gibt also deutliche Hinweise darauf, dass die flipped classroom Methodik viele Vorteile hat.

Die Schüler*innen können den Stoff im eigenen Tempo lernen und sind nicht auf die Kulanz der Lehrkraft angewiesen, wenn sie eine Stunde verpassen.

Sie lernen besser, wie sie ihre Zeit einteilen müssen, um optimal auf die folgende Unterrichtsstunde vorbereitet zu sein und durch den digitalen Part lernen die Kinder, mit digitalen Medien umzugehen.

Zu Pandemiezeiten ist dies ein besonders wertvoller Aspekt. Wenn die Kinder bereits vor dem Homeschooling gelernt haben, selbstständiger zu arbeiten, fiel ihnen der Zoomunterricht ersichtlich leichter. (Genaueres in meinem Artikel Schule in Coronazeiten)

Außerdem haben die Lehrkräfte dadurch mehr Zeit für schwächere Schüler*innen, die andernfalls abgehängt worden wären, und es gibt somit den Beteiligten eine Möglichkeit, eine bessere Lehrer-Schüler-Beziehung aufzubauen.

Trotzdem gibt es auch einige Gründe, warum diese Methode sich in Deutschland noch nicht durchgesetzt hat.

Das größte Problem ist das altbekannte, das man nie loswird, vor allem was deutsche Schulen angeht. Fehlende Gelder.

Die Digitalisierung in Schulen soll seit Jahren vorangetrieben werden, und trotzdem hat es erst eine Pandemie gebraucht, dass sich die ersten bemerkbaren Änderungen anbahnen. Ohne die nötige technische Ausstattung ist es den Kindern nicht möglich, sich mit dem Unterrichtsmaterial auseinanderzusetzen. Dass die Eltern die Kosten für eine vernünftige Ausstattung alleine stemmen müssen, darf natürlich nicht vorausgesetzt werden.

Das Modell bedeutet einen höheren Aufwand für Lehrende. Die Lernvideos müssen vorbereitet werden, die technische Pflege, der Upload, das Know how, das sich bezüglich der Technik angeeignet werden muss. Alles braucht viel Zeit, welche den Lehrkräften entweder zusätzlich vergütet werden müsste, oder wodurch sie weniger Klassen unterrichten könnten.

Abgesehen von dem wirtschaftlichen Problem kommt hinzu, dass manche Schüler*innen nicht gut alleine lernen können. Wenn sie das Lernmaterial von Beginn an nicht verstehen, werden sie dies auch während der aktiven Unterrichtsphase kaum nachholen können. Die Lehrperson müsste dann während der Anwendungsphase doch wieder zur Erklärung übergehen, womit wir wieder beim traditionellen Modell angelangt wären.

Wenn man einen Blick auf die allgemeine Bildungslandschaft wirft, fällt allgemein auf, dass solche Methoden oft für die älteren Schüler*innen sehr gut funktionieren. In den höheren Klassen können die Jugendlichen bereits besser mit Selbstregulation und eigenständigem Lernen umgehen, da sie mehr schulische Erfahrungen haben wie auch sich selbst besser kennen.

Für diese Einordnung spricht auch die Tatsache, dass die meisten Studien zur „flipped classroom“ Methode an Studierenden und nicht an Schulkindern durchgeführt wurden. Falls du dir diese genauer anschauen möchtest, habe ich dir zu der bereits genannten Studie drei weitere Beispiele in den Quellen angegeben.

Zusammenfassend überwiegen die Vorteile der „flipping classroom“ Methode für Schüler*innen in den höheren Klassen. Für mich persönlich steht daher fest, dass unsere Kinder spätestens ab der Oberstufe nicht mehr nach dem traditionellen Modell unterrichtet werden sollten. Die aus den USA stammende Methode wird in vielen Studien von den Proband*innen als besser bewertet, als die traditionelle Unterrichtsform. Außerdem sehe ich darin eine gute Vorbereitung der Schulabgänger*innen für ihr Studium, da sie spätestens an der Universität lernen müssen, sich den Unterrichtsstoff selbstständig anzueignen.

Quellen:
Mok, H. N. (2014). Teaching tip: The flipped classroom. Journal of Information Systems Education, 25 (1), 7-11 https://ink.library.smu.edu.sg/sis_research/2363/, https://doi.org/10.1016/j.jneb.2014.08.008, Cristina Rotellar, PharmD, Jeff Cain, EdD, MS https://www.ajpe.org/content/ajpe/80/2/34.full.pdf
Landesmedienzentrum Badenwürttemberg
Bill Tucker "The Flipped Classroom"